Positionspapier des NaturZoo Rheine zur Paviantötung im Tiergarten Nürnberg
01. August 2025
Dr. Felix Husemann, Zoodirektor des NaturZoo Rheine
Rückendeckung aus Rheine für Nürnberg – Warum wir für nachhaltigen
Artenschutz auch unbequeme Wege gehen müssen
Der NaturZoo Rheine unterstützt das Vorgehen des Tiergartens Nürnberg in der aktuellen Debatte um Populationsmanagement und Tiertötungen – nicht trotz, sondern weil wir Wildtiere lieben.
Zoos haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu bedeutenden Kompetenzzentren für Artenschutz, Bildung und Forschung entwickelt. In einer Welt, in der Biodiversität in rasantem
Tempo verloren geht und natürliche Lebensräume zunehmend zerstört werden, tragen Zoos eine immense Verantwortung: Sie sichern das Überleben bedrohter Arten – innerhalb und außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume.
Doch erfolgreicher Artenschutz verlangt Konsequenz, Fachwissen – und manchmal auch Entscheidungen, die emotional herausfordern.
Nachhaltiges Populationsmanagement ist keine Option, sondern Pflicht
In europäischen Zoos leben heute Tierpopulationen, die so stabil, genetisch vielfältig und vermehrungsfähig sind, dass wir uns mit Herausforderungen konfrontiert sehen, die vor wenigen
Jahrzehnten undenkbar waren. Dies ist eine gute Nachricht: Es zeigt, dass Zoos ihre Aufgabe als Arche und Bildungsinstitution ernst nehmen und erfolgreich erfüllen. Doch damit einher geht die Verpflichtung, Tierbestände langfristig nachhaltig zu regulieren.
Artenschutz ist gesetzlich verankert – national wie europäisch. Zoos sind verpflichtet, an Erhaltungszuchtprogrammen mitzuwirken, deren Ziel es ist, gesunde, sich selbst erhaltende Populationen außerhalb des natürlichen Lebensraums zu sichern. Dies erfordert ein funktionierendes Sozialgefüge, eine natürliche Altersstruktur, regelmäßige Fortpflanzung – und die Bereitschaft, Tiere unentgeltlich zwischen Zoos auszutauschen oder, wenn keine Alternative bleibt, tierschutzgerecht zu töten.
Was paradox erscheinen mag, folgt biologischen und ethischen Grundsätzen: Eine Tierpopulation, die nicht verjüngt wird, altert, wird unfruchtbar und stirbt aus – auch im Zoo. Tierartunabhängig.
Verhütung ist keine nachhaltige Lösung
Vermeintlich tierfreundliche Maßnahmen wie hormonelle Verhütung oder Geschlechtertrennung bergen gravierende Risiken: Verfügbare Verhütungsmittel sind für Wildtiere nicht zugelassen, ihre
Wirkung teilweise irreversibel. Zudem kann unregelmäßige Fortpflanzung zur sogenannten Seneszenz führen – einem biologischen Prozess, der bei vielen Tierarten zur Unfruchtbarkeit führt. Das bedeutet: Tiere, die nicht regelmäßig züchten, fallen dauerhaft für die Erhaltungszucht aus.
Zucht auf „Knopfdruck“ funktioniert nicht. Tiere sind keine Maschinen. Und wer nachhaltige Tierhaltung ernst meint, darf ihnen elementare Verhaltensweisen wie Paarung, Trächtigkeit und Jungenaufzucht nicht dauerhaft vorenthalten.
Warum das Töten ein letzter, aber notwendiger Schritt sein kann
Die Tötung von Tieren – auch, wenn sie zu Futterzwecken dient – ist ein hoch emotionales Thema. Doch sie ist nicht pauschal verwerflich. Millionen von Tieren werden täglich geschlachtet, ohne
dass dies gesellschaftlich hinterfragt wird. Die ethische Bewertung eines Zootieres darf nicht über der eines Nutztieres stehen.
In Zoos aufgezogene Tiere, die Teil einer nachhaltigen Zuchtstrategie sind, leben unter besten Bedingungen in sozialen Gruppen und mit hoher Lebensqualität. Wenn ihre Tötung notwendig wird – etwa zur Regulierung der Population oder als Teil des natürlichen Nahrungskreislaufs – geschieht dies tierschutzgerecht, ohne Transporte und unter weit weniger Stress als in der
konventionellen Tierhaltung.
Raubtiere profitieren zudem von der Fütterung ganzer Beutetiere – sie entspricht ihrer natürlichen Ernährung und dient dem Tierwohl.
Auswilderungen sind aufgrund der vorherrschenden Bedrohungslagen, wie zerstörte Lebensräume, oft nicht möglich, sind aber Ziel der Reservepopulationen in Zoos. So konnten bereits Arten, darunter Säbelantilopen, die im natürlichen Lebensraum ausgerottet waren, wieder von Zoos in die Natur entlassen werden.
Zoos sind keine Tierlager – sie sind Zukunftswerkstätten der Biodiversität
Die Gesellschaft muss lernen, dass echter Artenschutz keine Unterschiede zwischen „liebenswerten“ und „weniger beliebten“ Arten machen darf. Ob Affe oder Insekt – unsere Verantwortung gilt allen Arten. Emotionale Vorlieben dürfen nicht über wissenschaftlich fundiertes Handeln triumphieren. Wenn wir es nicht schaffen gesellschaftliche Befindlichkeiten abzulegen, werden wir die Tiere, denen wir uns am nächsten fühlen, als erstes verlieren.
Der Platz in Zoos ist begrenzt – doch entscheidend ist nicht, wie viele Tiere wir halten, sondern wie wir sie halten. Und vor allem, ob wir dazu beitragen, dass ihre Art überlebt.
Ein Appell an Vernunft und Verantwortung
Artenschutz ist keine einfache Aufgabe. Er verlangt Engagement, Fachkenntnis – und manchmal den Mut, unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen zu treffen.
Der NaturZoo Rheine steht fest an der Seite aller zoologischen Einrichtungen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und diese konsequent wahrnehmen. Nicht, weil wir Tiere weniger lieben. Sondern weil wir sie so sehr lieben, dass wir alles tun, um ihre Zukunft zu sichern.